Reisebericht Festival Int. d´Improvisation de Lyon 30.10.- 2.11.07


Lyon ist ein Moloch aus Autobahnkreuzen, Unterführungen, Einbahnstraßen…. Aber es gibt ein tolles städtisches Leihfahrrad- System: komplett automatisch über Kreditkarte, bis zu 30 Minuten fahren ist umsonst und alle 500 m ist eine Automaten- Leih- Station, sehr beeindruckend.

Fast das ganze Festival findet auf einem Boot mit Restaurant u. 2 Sälen („La Plateforme“, a. d. Rhone i. Zentrum) statt.
Mathieu Loos (vom frz. National- Team) ist Chef- Organisator und hat sich sehr nett um mich gekümmert trotz meines lausigen französisch, mir eine superbillige + tolle Unterkunft besorgt+ mich allen vorgestellt.

Das Festival steht auf 5 ziemlich gleichberechtigten Füßen:
(1) Jeden Nachmittag Show für Kinder (größtenteils mit gemischtem Ensemble a. d. Festivalteilnehmern)
(2) Ein neues/ spezielles Format einer Gruppe
(3) ca. 22:10- 23:25 (!) eine mixed- show, thematisch inspiriert von (2), geprobt von 10- 13:00
(4) Jeden Tag werden tagsüber 4 Kurzfilme gedreht (von Studenten, Improspieler als Akteure), gezeigt von 23:30- 24:00
(5) Late- Night- Show ab frühestens 0:00
Programmpunkte (2) -(5) werden (mit 2 Pausen) hintereinander vor weitestgehend identischem Publikum präsentiert, d. h. die Abendshow geht von 20:30 - 01:30 täglich, auch Wochentags.

Eröffnungsabend = Filmabend (verpasst, nur erzählt bekommen bzw. Filmausschnitte gesehn): Die Belgier haben Filmsequenzen neu synchronisiert. Mit gemischtem Ensemble dann eine Geschichte zu eher abstrakten Projektionen. Fazit: Auch wenn’s toll was hermacht (die Franzosen sind Technikfreaks: auch der Hauptspielort technisch gigantisch: irre Lightshow, dutzende Mikrofone, Einspielungen, Toneffekte… und das in nem 200- Plätze- Saal und in dem 100- Plätze - „Cabaret“ auch) ist Film ein sehr unbarmherziger, weil nicht interagierender Impropartner. ( Meine Meinung: wenn überhaupt, hat das nur Zukunft mit improvisierenden Filmvorführern, d. h. unmittelbar beeinflussbaren Projektionen)

Di. Abend:  Zuerst (2) ein „normales“ Konzert einer indischen Zigeunerkapelle. Dann (3) 5 Musiker, 5 Spieler: mixed Improtheatershow (davon 3 indische Musiker + 1 Japaner, die kein Wort französisch können und 2 Inder dennoch wie vom wilden Affen gebissen in den Szenen rumhüpfen), hm, schwierig. Bisweilen entstehen durch „Misbehaviour“ (= der Geschichte völlig fremde Impulse) interessante Herausforderungen, die in ganz neue/ frische Gefilde führen, aber man muss die Grenze kennen, wanns zuviel ist.
(5) „Philosophischer Abend“: jeder Tisch (ca. 8 Leute) bekommt einen anderen Zettel mit einem Spruch (z. B. „Sollen wir unsere Wünsche befreien oder uns von unseren Wünschen befreien?“), diskutieren 10 min. darüber + schicken dann 1 Vertreter zur Präsentation der Ergebnisse a. d. Bühne. Nicht sehr theatral, aber ich hab’s genossen weil sehr interaktiv/kommunikationsfördernd.

Mi. (1) 1 Kind wird durch Zufallsgenerator  (Zettel m. Buchstaben f. Vorname, Zahlen f. Alter) ausgewählt + interviewt: bester Freund, was schätzt man an ihm, was man mag, was man blöd findet. Das Kind bekommt eine Glocke um zu stoppen, wenn ihm was nicht gefällt. 3 Musiker, 5 Spieler (!).
(2) ein quasi- Solo: 1 Spieler 1 Stunde allein „seine“ = eine angeblich wahre Geschichte erzählend. Die Inspirationen liefern ein „Bühnenbildner“ (Gegenstände auch mal in die Hand drückend oder den Spieler schubsend) + ein Geräuschemacher/ Musikeinspielungen. Durchaus absichtsvoll sehr unlogische = unpassende Eingriffe um wilde Sprünge/ Überraschungen zu provozieren. Das ganze wurde erstaunlich intensiv = wahrhaftig. (Improszenen bleiben ja gern an der Oberfläche hängen und erzählen wenig vom Innenleben und den Gefühlen der Figuren). Chapeau vor der schauspielerischen Leistung, Genussfaktor mittel.
(3) experimentelles Format der Pariser Gruppe „Encanteurs“: 9 Spieler, von denen viele auf ihrer eigenen „Ebene“ bleiben, d. h. praktisch nicht interagieren: z. B. ein „Dichter“, der neben der Bühne bleibt und sich ab+zu zu Wort meldet; eine Tänzerin, die von den „Spielern“ nicht gesehen wird („wie unsichtbar“ ist und simultan Gefühle/ Energien darstellt). Dabei alle ständig auf der Bühne und (auch, wenn der „Focus“ sich verschiebt) „da“ = in der Rolle. Viel Kunst, sehr Jazzy, ein Hyper- Harold.
(5) ein Impro- Chanson- Abend. Nix ungewöhnliches außer dass ich immer wieder staune, wie viele gute Improspieler vor dem Format „Solo- Song“ kneifen. Ist’s eine heimliche Königsdisziplin?

Do. (1) Die Spieler „bewerben“ sich mit kurzen Wahlreden für die Rolle der „Hauptfigur“ (charmant), dann kriegt sie vom Publikum noch ein Geheimnis, von dem die Mitspieler wirklich nichts wissen (weil draußen), sehr spannend.
(2) „kulinarisches Theater“: die Spieler haben 5 Gänge (aber nicht je 5 Portionen) zur Verfügung + etwas Geschirr. Die Speisen sollen als Inspiration dienen für 5 Geschichten. Auch wenn’s schön gespielt war: das mit der Inspiration hat sich nicht vermittelt. Danach wurde der Koch noch über seine Creationen interviewt. Die spinnen, die Gallier.
(3) Yuri (Japan) + 1 Neuseeländer : zu 2t eineinhalb Stunden (puuh) ne Art Melanie- Harold zu einem Begriff. Vom Ansatz her interessant+ für Transitionen und verschiedene Ebenen haben hilfreich (das is sehr kompakt formuliert, langsam, zum mitdenken:  was Crumbs oder Scratch mit Figurenwechsel machen plus den abgedrehten Harold- Sachen, die erst bei 4 oder 6 Spielern entstehen): Die Spieler haben 5 Ebenen=  Spielmodi zur Auswahl und müssen/sollen sich bei jedem Schnitt= Übergang für eine entscheiden: 1. privat/wahre Geschichte, 2. „normales Spiel“, 3. Exxxtreme (Gefühle etc. alles GROß), 4. abstrakt (Gegenstände etc.), 5. ?? (vergessen? nicht verstanden?).Sehr ambitioniertes Konzept+ wenn’s klappen würde der Hammer, aber leider nicht durchgehalten.
(5) „Gong- Show“ (= Nummern-Open-Stage ohne Vorgaben+ ohne Hilfsmittel á la „ich kann was“). 3 Juroren, man ist raus wenn alle 3 gongen.  Unklar organisiert wg. an Gläser bimmeln: Schilder hochhalten wäre besser.

Fr. (1) Eine Wie-geht’s-weiter-Geschichte, wobei die Spieler ab+zu freezen und recht intelligent 2 Alternativen zur Abstimmung anbieten.
(2) 2 Geschichten- Erzähler (also echte, ihr wisst schon, Erzähler; für Ignoranten: professionelle „Märchenerzähler“), davon 1 aus Kamerun: Patrice Kalla, wow, großartig, schade dass er kein deutsch kann. Und 3 Musiker. Die Geschichten an sich recht konventionell/traditionell, aber das Maß an Zusammenarbeit/ Bälle zuspielen der 5 (war ja keine inszenierte Show) sensationell.
(3) dazu noch 5 Improspieler, alles improvisiert. Ganz toll, wie gut alle zusammenarbeiten; Musiker kleine Rollen übernehmen, alle 10 Focus geben/nehmen, wie selbstverständlich die Erzähler integriert sind.
(4) = (5):  Abschluss- Kinoabend. Alle Filme+ Jurypreise. Bis 3 Uhr morgens. Pfuh.

Fazit: Fast nur Langformen, auch in Kindervorstellungen meist 1 große Geschichte, sehr selten Zwischenmoderationen, wenig Publikumsvorgaben. Viele sehr gute Improspieler, durch hohes Maß an Ambition aber oft am Rand der Überforderung. Super Organisation. Ohne französisch geht aber garnix: il fault parler et comprendre le Francais!

Sigi Wekerle, 6aufKraut, Nbg.

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